Wenn es windstill ist, taucht sie plötzlich auf. Eine ganze Armada. Aus dem Nichts. Und mit unstillbarem Durst nach Säugetierblut. Bergbremsen. 🪰

An meiner rechten Wade hat ein’s der bissigen Viecher angesetzt. Ein kurzer punktueller Schmerz gefolgt von tagelangem Juckreiz - Das triggert in der Regel den schicksalshaften Klatsch-Reflex. Patsch! Haut auf Haut. Dazwischen ein dahingeschiedenes Insekt.

Meine Reflexe aber, die sind gerade alle im Stand By Modus. Die Lämpchen leuchten, nix passiert. Ich bin erstarrt. Atme ich überhaupt?

Noch nie zuvor habe ich einen Steinbock in freier Wildbahn gesehen. Bis zu meiner ersten Wanderung im Valle Gesso. Als sich mir dieser jugendliche Prachtkerl einfach mitten in den Weg stellt. Eine gefühlte Ewigkeit stehen wir uns gegenüber, während der juvenile Steinbock uns neugierig mustert. Bergstille. 

Skye und ich sind völlig regungslos, die Bergbremsen feiern auf meinen nackten Unterschenkeln ein opulentes Festmahl. Der Ibex versucht indes, die lästigen Blutsauger mit ungleichmäßigem Wedeln seiner Öhrchen abzuwehren. Vergeblich.

Als ihm die surrende Bremsenwolke zu penetrant wird, schüttelt sich das junge Tier ein Mal kraftvoll und dreht schließlich ab, um im steinigen Gelände wohl durchaus galant - aber völlig uneilig - davon zu zockeln.

Mein Herz schlägt Purzelbäume… 💞

Und Himmelherrgott, endlich kann ich die Insekten um meine Beine verscheuchen und dem großflächigen Juckreiz nachgeben.

Das Valle Gesso - Herzstück des Parco Naturale delle Alpi Marittime

König Vittorio Emanuele II. ging es wohl ähnlich wie mir, als er erstmals ins Valle Gesso im südwestlichen Piemont reiste:

Die üppigen Hochtäler im quietschbunten Blütenjubel, umgeben von den höchsten Bergen der Seealpen - Der Anblick muss ihn direkt aus seinen wollenen Kniestutzen gehauen haben. So wie es mich prompt aus meinen aquamarinblauen Wandersocken katapultiert. Um mich augenblicklich im vollkommenen Wonnerausch gemeinsam mit meinen Hunden im prickelnd kalten Wasser des Gesso Flusses wiederzufinden…

Vor allem die artenreiche Fauna hatte es damals dem guten alten Vittorio angetan. Auf eine makabere Weise. Nämlich als er die beiden Täler Valle Gesso di Entracque und Valle Gesso della Valletta, die zusammen die Region Valle Gesso bilden, zu seinem ganz persönlichen Jagdrevier auserkor. 🦌

So düster sich die anschließende völlige Ausrottung des Steinbocks im Valle Gesso lesen mag, Vittorio Emanuele II. schuf mit der Erlassung der Region zum königlichen Jagdgebiet das Fundament für den - bis heute gelebten - nachhaltigen Tourismus. Unter Mitwirkung der dort lebenden Bevölkerung wurden für Vittorios Jagdgäste Unterkünfte gebaut und ganzjährig betreut, Wanderwege, Karrenwege und Saumwege erschlossen und in Stand gehalten, Wildtierbestände überwacht und Almen schonend bewirtschaftet. Zum royalen Schlemmen wurde ausschließlich Okzitanisch kredenzt. Lokal produziert und in konsequent hoher Qualität.

So ist die Idee der nachhaltigen Versorgung und Beherbergung Reisender - mit der Natur als größten und auch schützenswertesten Reichtum - bei den Bewohnern des Gesso Tals seit Generationen tief verankert. Rifugi statt Bettenburgen, Wanderstiefel statt Gondelbahn, langsam gereifter Castelmagno statt eiligem Tütenkaiserschmarrn.

Demnach ist es auch wenig überraschend, dass die Region Valle Gesso inzwischen gemeinsam mit den benachbarten Tälern Valle Vermenagna und einem Teil des Valle Stura einen Naturpark bilden - den Parco Naturale delle Alpi Marittime. Der Seealpen-Naturpark (Homepage)

Seealpen-Naturpark - Wandern mit Steinbock-Garantie

Die Tiere fühlen sich in der Idylle des Gesso Tals sehr sicher, erklärt mir ein Ranger später, als ich mit immer noch juckenden Waden vor ihm stehe. Deshalb kämen sie auch häufig nah an den Menschen heran. Mit der im Naturpark geltenden Leinenpflicht für Hunde und dem Fehlen natürlicher Feinde hätten die gechillten Steinböcke keinen Grund, mir und Skye gegenüber scheu zu sein. 

Plopp. Da platzt sie, meine babyblaue Blase vom außergewöhnlichen Bergerlebnis. 😏

Aber eigentlich hätt ich’s mir ja schon denken können. Nämlich als ich nach dem Tête-a-tête mit dem jungen Ibex den holprigen Muli-Pfad weiter bergwärts schreite, um mich nach einer Kehre plötzlich mitten im vergnügten Gewusel eines ganzen Steinbockkindergartens wiederzufinden.

Angesichts dieser doch recht üppigen Steinbock-Präsenz verblüfft es ein wenig, dass es ein anderer Hörnling ist, der das Logo des Seealpen-Naturparks ziert. Nämlich die Gämse. 

Valle Gesso Wildlife - Mit welchen Tierbegegnungen man hier sonst noch rechnen darf

Gut, das mit der Gämse auf dem Logo hat durchaus auch seine Berechtigung. Denn kein Tier sorgt auf unseren Streifzügen im Valle Gesso für größeren Kummer bei meiner Jagd-affinen Fellwurst. Außer vielleicht noch die unzähligen Murmeltiere, deren schriller Pfiff für meine angeleinte Hündin eine regelrechte Provokation darstellt. Tja, it’s a hard life in the mountains, nicht wahr Skye? 😎

Dass ich im Valle Gesso - obwohl mit Hund unterwegs - Steinböcke, Gämsen und Murmeltiere sehe, kommt angesichts der großen Populationen also wenig überraschend.

Ein bisschen mehr Glück braucht man dann schon, um das scheue Rotwild oder die weltweit kleinste Wildschafart - das Mufflon - zu sichten. 

Und mit noch weit mehr Glück, da begegnet man im Valle Gesso sogar einem Wolf. Wer Fortuna ein wenig unter die Ärmchen greifen will, der kann das mit einem Besuch des Uomini E Lupi Wildlife Centre in Entraque machen. Die dort lebenden Wölfe sind übrigens keine Wildfänge, sondern ausschließlich Tiere, die aufgrund von Verkehrsunfällen etc. nicht (mehr) in der Freiheit überleben können.

Weit verbreitet seien auch Wildschweine, Fischotter und Wiesel, klärt mich der Ranger des Seealpen-Naturparks auf. Puh, Schwein gehabt. 🐗 Keine Wildschwein-Stelldicheins für mich und meine Hunde bitte. Das könnt nämlich glatt in die Hose gehen.

‚Und besonders devote Wanderer im Gesso Tal‘ - er grinst mich an und richtet seinen Blick bedeutungsvoll himmelwärts - ,deren Chancen stehen nicht schlecht, den König zu sehen. Den König der Lüfte.’ 🦅

Keine Frage - Dieser Mann verrichtet seinen Job mit Hingabe. Beneidenswert.

Wadenkratzend verabschiede ich mich von dem engagierten Parkwächter und schaue mich um.

Irgendwie wohnen hier im Valle Gesso auch deutlich mehr Insekten, als ich das von meinen Heimatbergen kenne. Den blutsaugenden Bergbremsen gegenüber hege ich freilich wenig Wohlwollen. Aber der Tanz, den die Millionen Schmetterlinge vollführen, während ich über die schillernde Bergwiese talauswärts wandere, der bringt meine Seele zum Leuchten. 🌟

Unterwegs auf majestätischen Wegen - Das Erbe des Königs

Nö, kein roter Teppich. Das gleich mal vorweg. Dafür aber traumhaft angelegte, grob gepflasterte Saumwege. Besonders steile Saumwege…

Als ich nach etlichen und keuchend erklommenen Höhenmetern - wegen der lästigen Bergbremsen muss man ja schließlich in Bewegung bleiben - kurz innehalte, um mir eine Portion Rundum-Blick zu gönnen, gucke ich tatsächlich auf ein ziemlich erlauchtes Panorama. Das royale I-Tüpferl setzt übrigens noch eine Gruppe Bergdohlen drauf, als sie just in dem Moment eine schöne Formation für mich fliegt. Wie einstudierter Synchron-Kunstflug.

Der sogenannte Alta Via dei Re - der Höhenweg der Könige - verläuft als Durchquerung des Parco Naturale Alpi Marittime teils ident mit der GTA, teils höher und etwas anspruchsvoller. Er passiert einige der imposantesten und gewiss königlichsten Orte des Gesso Tals.

Hunde sind entlang des gesamten Alta Via dei Re und auf den Zubringern erlaubt. Allerdings ist man sich in den Rifugi noch nicht einig darüber, wie man es mit der Beherbergung der Vierbeiner halten will - Von Übernachtung-im-Winterraum bis Willkommen-im-Doppelzimmer. Es hänge wohl ein wenig an der Buchungslage, erklärt man mir auf Nachfrage im Besucherzentrum des Parks in Terme di Valdieri, und empfiehlt, einfach vorher in der jeweiligen Hütte anzurufen.

Bock auf Valle-Gesso-Weitwandergeschichten?

Hier gehts zum Blog von Anne von Little Red Hiking Rucksack

Ich für meinen Teil bleibe mit Skye bei Tageswanderungen im königlichen Wegenetz und übernachte in meinen mondänen 6,3 Metern. Der selbst mitgebrachte Chauffeur, Koch, Kammerdiener und natürlich Liebhaber krönt meinen feudalen Aufenthalt im Valle Gesso. 👑

Zwei Füßchen, 4 Pfötchen - Unsere Wanderungen im Valle Gesso

• Rundwanderung mit Hund zu den Laghi di Fremamorta

• Wanderung mit Hund ins Vallone della Barra

• Wanderung mit Hund zum Lago Vei del Bouc

Camping Sotto il Faggio - Wenn wahrer Luxus ein Glas Rotwein am Lagerfeuer ist

Das pyromanisches Talent unseres Lieblingsmenschen gleicht ja in etwa dem meiner Hunde, einem herzhaften Schnittchen Toma Piemontese zu widerstehen. Er hisst gern mal die Rauchfahne. So auch jetzt, als ich am Ende der Wanderung mit Skye den Campingplatz erreiche.

Heute werde er mal nicht so schnell aufgeben, hustet er ambitioniert in den dichten blauen Dunst. 💨🪵🔥

Der naturnahe und unparzellierte Campingplatz Sotto il Faggio bietet nämlich zur großen Freude des pyrophilen Herzensmanns - neben der einzigartigen Lage in mitten der italienischen Seealpen und der sympathischen und engagierten Betreiberfamilie - die Möglichkeit, unter sicheren Bedingungen ein Flämmchen zu zünden.

So muss Leben, stelle ich fest, als ich nach einer prickelnden Dusche mit einen Glas Rotwein vor dem inzwischen fast schon gelungenen knisternden Feuerchen auf einen am Boden quer liegenden Baumstamm Platz nehme. 🍷

Als sich Chumani schließlich noch für eine abendliche Massage ihres grauen Rückens zu mir legt, ist mein Tag vollendet. Glückversunken strecke ich meine Beine aus und wärme die nackten Füßchen an den kaminwarmen Steinen, die unsere Lagerfeuerstelle säumen. 

Und die paar Rauchwölkchen, die noch aufsteigen? Die halten die Bremsen fern…

Werbung, unbeauftragt! Bei diesem Text handelt es sich um einen redaktionellen Beitrag, der unbeabsichtigt durchaus eine werbende Wirkung haben könnte, ohne dass ich von irgendeinem Unternehmen dafür beauftragt wurde!