Vallée de la Clarée – Wie ich lernte wegzuhören, indem ich ganz genau hinhörte

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Gu-kuuh, Gu-kuuh.

Von all meinen Sinnen schenke ich wohl dem Hören am allerwenigsten Beachtung. Ja, ich überhöre sie buchstäblich, all die leisen Wunder. Zu laut tönt der Lärm im Kopf.

Nachts ist dieser erfahrungsgemäß am penetrantesten - Mentales Topfschlagen, von einer Windung zur nächsten. Meist zieh ich dort oben in der gekrümmten grauen Masse mehrere Runden. Bis ich - den Holzlöffel weiterhin fest im Griff - irgendwann endlich einschlafe…

Diese Nacht aber ist anders. Denn das schier tonlose Dunkel des Vallée de la Clarée wird unerwartet durchbrochen von einem inbrünstigen ‚Gu-kuuh’. Prompt verstummt auch mein Gedankengeschepper.

Und so lausche ich augenblicklich in die Ruhe des schlummernden Tals. Dabei erhasche ich den Klang des Windes als sanftes Säuseln frisch ausgetriebener Lärchennadeln, sowie das Spiel des Wassers als beruhigendes beständiges Plätschern. Ich vernehme den Hall der Schwerkraft im fernen Rauschen eines hinabstürzenden Wasserfalls. Hörbar auch der Rhythmus meines ganz persönlichen Wohlgefühls - als leises Synchron-Brummeln meiner schlafversunkenen Hündinnen… ❤️

Gu-kuuh, Gu-kuuh. 

Und unaufhörlich erklingen die Töne des Glücks. Im unverkennbaren Gesang des Kuckucks.

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Kuckuck, Kuckuck, ruft's aus dem Wald...
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Vallée de la Clarée – Perle der Westalpen

Unweit der Italienischen Grenze und - die Franzosen können schlichtweg nicht anders 😏 - der höchsten Stadt der Europäischen Union Briançon (1326m) verläuft eines der wohl prächtigsten Hochtäler der französischen Westalpen. Das Vallée de la Clarée. 

Namensgeber und unbarmherziger Gestalter für das zwischen 1400 und 2000 Höhenmetern verlaufende Tal ist die Clarée - ein nunmehr reizend vor sich hinplätschernder Wildbach, der das Cerces Massiv seinerzeit in einen nordöstlichen lieblicheren und einen südwestlichen zerklüfteteren Anteil kerbte.

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Die Clarée...

Bezeichnend für das etwa 30km lange Clarée Tal ist - neben den eindrucksvollen Erhebungen der Cerces und dem kristallklaren Fluss – ein besonders intaktes Landschaftsbild. Bergseen, Hochmoore, Lärchenwälder, üppige Wiesengründe. Mit einer eindrucksvollen Artenvielfalt als erfreuliche Begleiterscheinung.

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Der visuelle Hochgenuss setzt sich übrigens in den Talorten Nevache und Val-de-Pres und deren pittoresken Weilern fort. Ursprünglich und echt lebt es sich hier. Und keinesfalls schlecht, wie ich noch erfahren werde…

Gu-Kuuh, Gu-Kuuh. 

Einer alpinen Legende nach soll man sein Leben lang mit Reichtum gesegnet sein, wenn man beim ersten Ruf des Kuckucks im Frühjahr oder Frühsommer ein paar Münzen in der Tasche hat. Ob dieses Prinzip wohl auch für Plastikgeld gilt?🤔

Gegenwärtig frei von Kaptitalkummer gebe ich mich dem allmorgendlichen Rudelkuscheln zu Grunzgeräuschen - und Glücksvogelrufen - hin…

Gu-Kuuh, Gu-Kuuh.

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Ausgeschnarcht...

Hohe Wertschöpfung dank Naturtourismus – Das Clarée Tal als Paradebeispiel

Der im Haute-Clarée - dem hinteren Teil des Clarée-Tals - liegende kleine Weiler Fontcouverte ringt gar nicht erst damit, Unverkennbares zu kaschieren. Neben ein paar bewohnten Häuschen, einer steinalten Kapelle, einem Auberge und einem naturnahen Campingplatz, gibt es in Fontcouverte vor allem eines: Viele viele Parkplätze. Für viele viele Touristen. Insbesondere Italiener, wie mir eine hiesige Wanderbekanntschaft erklärt. Und - wie soll’s auch anders sein - insbesondere im August. 

Welch Glück für mich, dass gerade Mitte Juni ist…

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Tausende Schafe aus dem gesamten Land verbringen den Sommer im Clarée
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Der Weiler Laval ist Juli & August für den motorisierten Verkehr gesperrt

Die offensichtliche Unverdorbenheit des Tals und dessen Bewohner lassen sich trotz beachtlichen Besucherstroms – das Vallée de la Clarée ist eines der meistbesuchten Täler der Westalpen - in zwei simplen Worten, die andernorts allenfalls nach abgedroschener Fremdenverkehrsfloskel arten, erklären: Sanfter Tourismus. Mit einer intakten Natur als erklärtes Kapital.

 Die Entscheidung hierfür fiel erfreulicherweise noch vor der Ausführung etwaiger Bausünden, wie man sie hinreichend aus anderen alpinen Regionen kennt. Bereits in den 1970er Jahren mobilisierte Émilie Carles – Clarée-Ikone mit Weitblick – unter dem Slogan Schafe gegen Lastwagen gegen ein geplantes Autobahnprojekt. Erfolgreich. 

Nach erneutem Widerstand – diesmal anlässlich eines Eisenbahnprojekts in den 1980ern - wurde das Vallée de la Clarée 1992 schließlich zur Site naturel protégé – zum Landschaftschutzgebiet – erklärt. Seit 2014 ist das Clarée-Tal auch Teil des Natura 2000 Netzwerks.

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Weniger ist mehr - Auch so kann Tourismus sein

Der Naturtourismus als Lebensweise trägt längst schon Früchte. Früchte von denen so gut wie alle Bewohner des beschaulichen Westalpentals satt werden. Sei es als direkt als Wanderführer oder Tourguide, als Wirt oder Vermieter oder auch indirekt als Produzent oder Handwerker. 

So nächtigt man im Clarée Tal eben nicht in wertschöpfungsarmen Bettenburgen, sondern in urigen Chalets, in Gästezimmern, in Wanderherbergen und Refuges oder - so wie ich und meine Hunde – auf einem der vier Campingplätze.

Camping de Fontcouverte - Vallée de la Clarée in all seiner Purheit

Gu-Kuuh, Gu-Kuuh. 

Noch immer kein Geld in der Tasche, dafür einen frisch gebrühten Kaffee in der Hand, verfolge ich vor unserem Van, wie das Camp an diesem jungen Tag allmählich erwacht. Aus Stille wird nach und nach klangschönes Treiben.

So bemerke ich das typische blecherne Scheppern einer Schiebetür irgendwo hinterm Santärtärhäuschen. Oder das kurze helle Surren eines Zeltreißverschlusses. Ich höre ein entferntes dumpfes Patschen, etwa wie von aufeinanderschlagenden Schuhsohlen. Und das eindeutige Knautschen einer Luftmatratze, auf der sich jemand umdreht um weiterzudösen. Das feine Raspeln einer abgenutzten Zahnbürste gefolgt von einem allzu gründlichen Gurgeln. Oh, das erste Wanderstöcke-Klacken von besonders zeitig Erwachten. Ich lausche dem gedämpften Murmeln aus dem benachbarten Zelt. Teil der Klangkulisse bildet auch Chumanis bedächtiges Schmatzen nebst den - dem Rattern einer Industrienähmaschine ähnelnden - Express-Mampf-Tönen ihrer nimmersatten Tochter. Schließlich greife ich noch das metallische Klimpern des Teelöffels in meiner emaillierten Kaffeetasse ganz bewusst auf. 

Und immer wieder ertönt der Gesang des Kuckucks. Gu-Kuuh, Gu-Kuuh.

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Freie Platzwahl, man bekommt lediglich ein Nummerschildchen ausgehändigt
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Down by the river...

Camping de Fontcouverte ist an Schlichtheit kaum zu überbieten. Aber auch an Idylle. Und so verbringe ich ausgerechnet an diesem ruhevollen Platz den allerallerlängsten Am-Stück-Aufenthalt meiner bisherigen Camper-Karriere. Vielleicht weil ich passionierte Freisteherin bin. Und vielleicht weil der Platz im Grunde genau das ist: Freistehen. Aber halt offiziell. Und mit Wertschöpfungsgarantie.

Man logiert hier ursprünglich - waldbeschattet und unparzelliert. Und ohne nennenswerter Ausstattung. Demnach finden hier Reisende, die ihre Wohnmobil-Infrastruktur für die Nachwelt konservieren, nicht unbedingt ihr ganz großes Glück.

Ach ja, die etwa 1900m ü.A. verheißen auch für den Hochsommer einen nächtlichen Frischekick. Temperaturen für garantiertes Hundeglück also...

Und alle wollen sie wandern…

Etwa 700 000 Gäste pro Jahr. Und eben nicht die in weißen Tennissocken und Sandalen. Der Clarée-Besucher ist ein waschechter Draussi, der weder nach einer Gondel als Aufstiegshilfe verlangt, noch gerne in Karawanen über spiegelglatt radierten Fels balanciert.

So sind die über 300km markierter Wanderwege sowohl dem Hochtal als auch dem Bergfreund in mehrerlei Hinsicht durchaus dienlich: Vielfalt, Abgeschiedenheit und vor allem Entlastung der Natur.

Überdies gilt - auch aus Landschaftsschonungsgründen -  für den Hochsommer ein strenges Fahrverbot für das Haute-Clarée ab Fontcouverte. Stattdessen verkehrt zwischen Nevache und dem höchstgelegenen Weiler Laval ein Shuttle-Bus. Darum die vielen vielen Parkplätze also… 💡

Und ich? Auch ich gebe mich von hier aus meiner Lieblingsfortbewegungsart hin. Ich geh wandern. 🥾

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Die mitunter intensivsten Bergmomente erlebe ich längst nicht beim Erreichen eines Gipfels. Vielmehr  sind es breite Hochebenen, deren Ruhe sämtliche Unruhe zu verdrängen in der Lage sind. Solche, die vom friedvollen Bimmeln hunderte Schafglocken belebt werden. Solche, deren satte Wiesen vom Summen noch satterer Bienen erfüllt sind. Solche, deren Gewässer munter vor sich hinblubbern. Solche, deren buchstäblich felsenfeste Umklammerung den schrillen Murmeltierpfiff gleich mehrmals als Echo herumreichen. 

Obgleich der Wiederhall besagter Pfiffe Skye beinahe in den Wahnsinn treibt - ja, meine Jüngere bringt einen ausgewachsenen Murmeltier-Tick mit - sind es genau solche Hochtäler und Plateaus, die mein Hund und ich bei unseren Wanderungen im Clarée mit Vorliebe entdecken. Immerzu.

Und während ich unweit des Refuge du Chardonnet an genau so einem Ort inne halte, ertönt einmal mehr der melodiöse Gesang eines offenbar ungeheuer hartnäckigen Glücksbringers.

Gu-Kuuh, Gu-Kuuh.

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Und am Ende bin ich all die Schwere los

Das weit geöffnete Maul immer wieder eintitschend, stakst Chumani durchs klare Wasser. Sie trinkt ihr Wasser nicht, sie schöpft es. Eine Eigenart meines grauen Schnäuzchens. 

Wir chillen. Am namensgebenden Flüsschen eines außergewöhnlichen Tals. Einem Tal, das ungeachtet so vieler Klänge nichts als Stille einflüstert.

Unter der Oberfläche der beschaulich dahinplätschernden Clarée flimmert das über Jahrtausende geformte Sediment der Cerces im Sonnenlicht. Münzgroße, rund und flach geschliffene Kiesel in allen Grautönen. Meine Lieblingssteine. Vom Hund abgeguckt, begebe ich mich barfuß in den Fluss und beginne schließlich damit, die schönsten aufzusammeln. 

Und mit jedem Steinchen, das mir dieser einzigartige Wildbach überlässt, versinken sogleich die allerletzten Bruchstücke meines Kopf-Traras in der Bedeutungslosigkeit.

Gu-Kuuh, Gu-Kuuh. 

Ach Kuckuck… Ich besitze ihn doch schon längst, allen Reichtum dieser Welt.

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